Immer am 3. Samstag im Mai, dieses Jahr am 15.5.21, findet der Europäische Adipositas -Tag statt. Die Existenz eines solchen Tages weist auf die Bedeutung der Erkrankung hin. Die WHO geht davon aus, dass im Jahr 2030 etwa ¼ der Frauen und Männer adipös sein werden.
Unsere Diplom-Trophologin Gerdi Schlegel steht uns als Interviewpartnerin zur Verfügung. Sie studierte Ernährungswissenschaften an der FSU Jena und ist seit 27 Jahren im Bereich Ernährungsberatung mit Schwerpunkt Adipositas tätig. Darüber hinaus lehrt sie im Bereich der Berufsausbildung für Diätassistenten.
Celenus Algos Fachklinik: Welche Ursachen führen zu Adipositas?
Gerdi Schlegel: Die Gründe sind sicherlich vielfältig. Allgemein bekannt sind natürlich ungünstige Veränderungen im Essverhalten, wie ballaststoffarme, kalorien-, zucker- und fettreiche Ernährung sowie zunehmender Bewegungsmangel.
Berücksichtigung sollten aber auch psychische Faktoren (z.B. Heißhunger in Stresssituationen) und Erkrankungen des Gewebes (z.B. Lipödem/Lymphödem) finden. Auch die Schilddrüse ist nicht unmaßgeblich an der Gewichtsentwicklung beteiligt.
Celenus Algos Fachklinik: Eigenverantwortung ist wichtig - was kann jeder selbst tun?
Gerdi Schlegel: Wichtig ist in jedem Fall eine Verminderung der Kohlenhydrataufnahme, insbesondere das bewusste Vermeiden von Zucker. Hier hilft ein Blick auf die Zutatenliste oder noch besser die eigene Zubereitung von Speisen und Getränken. Auch abends komplett auf Kohlenhydrate zu verzichten, ist für manche ein profitabler Weg.
Neben den Kohlenhydraten muss auch die Fettaufnahme kritisch hinterfragt werden. Viele beliebte Produkte, die aus Fleisch hergestellt werden (Fleischgerichte, Wurst, Frikadellen…), enthalten große Mengen ungünstiges Fett, während von den lebensnotwendigen ungesättigten Fetten kaum der Bedarf gedeckt wird. Für Letztere wären Fisch, Avocado, Raps- und Leinöl, Nüsse oder auch Samen und Saaten eine gute Quelle.
Um letztlich auch mit einer etwas geringeren Lebensmittelmenge satt zu werden müssen wir auf ballaststoffreiche Komponenten im Essen achten. Umsetzbar ist das durch die Nutzung von beispielsweise Vollkornprodukten, Gemüse (3 Portionen/ Tag), Obst und Hülsenfrüchten. Eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr von etwa 2 Litern pro Tag ist nicht nur hilfreich, sondern zur optimalen Ausnutzung der Wirkung von Ballaststoffen auch unverzichtbar.
Celenus Algos Fachklinik: Sind altersspezifische Unterschiede in der Therapie zu beachten?
Gerdi Schlegel: In unserer Einrichtung geht es neben chronischen Schmerzen überwiegend um orthopädische Operationen, wie zum Beispiel Knie- und Hüftendoprothesen. Daraus resultiert ein eher höheres Alter der Patienten. Aus diesem Grund ist oft nicht nur eine Adipositastherapie angezeigt, sondern die Multimorbidität der Patienten zu berücksichtigen. Zudem ist im fortschreitenden Alterungsprozess unbedingt auf die Verhinderung einer Sarkopenie zu achten. Hierzu ist Muskeltraining und die Aufnahme von hochwertigem Eiweiß erforderlich. Letzteres findet man, entgegen der häufigen Annahme, nicht nur im Fleisch, sondern u.a. auch in Eiern, Hülsenfrüchten und Hafer. Milchprodukte steigern sogar direkt die postprandiale Proteinsynthese.
Celenus Algos Fachklinik: Gibt es neue Erkenntnisse auf dem Gebiet der Adipositastherapie?
Gerdi Schlegel: Das ist tatsächlich der Fall. In den letzten Jahren rückt das intestinale Mikrobiom und dessen Bedeutung für Adipositas und Diabetes immer mehr in den Fokus. Kommt die Balance zwischen nützlichen und eher pathogenen Bakterien im Darm aus dem Gleichgewicht, hat dies Einfluss auf die Ausbildung endokrinologischer Erkrankungen wie Adipositas und Diabetes. Untersucht werden derzeit nicht nur die Vielfalt der Darmbakterien, sondern auch deren Stoffwechselprodukte aus dem Polysachccharidabbau, wie z.B. Acetat, Propionat und Butyrat. So wurden u.a. unterschiedliche Mengen an Propionat im Stuhl von adipösen und schlanken Patienten gefunden. Leider kann man nicht einfach nur mehr von den nützlichen Bakterien essen, um schlank zu werden, aber das Wissen um die Zusammenhänge lässt auf neue Therapieansätze hoffen. Bis diese zur Verfügung stehen können wir immerhin die nützlichen Bakterien mit Vollkornprodukten sowie Obst und Gemüse verwöhnen und so deren Bestand sichern und vielleicht etwas erhöhen.
Wir bedanken uns für das aufschlussreiche Interview.